Vom liebevollen Umgang mit uns selbst und unseren Schwächen

Achtsames Selbstmitgefühl – warum wir wertschätzend zu uns selbst sein sollten

Verinnerlichte Leistungsansprüche

Viele kennen das Phänomen: Wir können zu anderen großzügig und nachsichtig sein. Zu uns selbst dagegen sind wir oft streng und gnadenlos. Wir glauben, uns ständig antreiben zu müssen.

  • Streng dich an!
  • Nur die Leistung zählt!
  • Mach bloß keinen Fehler!
  • Nur keine Schwäche zeigen!
  • Beil dich! Mach weiter!

Unsere Selbstkritikprogramme suggerieren uns,

  • dass wir doch endlich den angestrebten Karriereschritt machen müssen
  • dass wir endlich unser Wunschgewicht erreichen müssen
  • dass wir allen Anforderungen an uns vollumfänglich gerecht werden müssen
  • dass wir endlich all unsere Unzulänglichkeiten und Schwächen abstellen müssen
  • das wir es allen Recht machen müssen
  • und das alles möglichst sofort…

Wir haben die Botschaften der Leistungsgesellschaft tief in uns verinnerlicht. Unbewusst fürchten wir uns davor, freundlich und zuvorkommend zu uns selbst zu sein, denn das könnte den äußeren und inneren Leistungsansprüchen entgegenstehen. Dies gilt selbst dann, wenn wir diese Befürchtung bei anderen nicht haben.

Der Wunsch nach Kontrolle

Wenn wir einen Fehler machen, wenn wir zu versagen oder nicht zu genügen glauben, fühlen wir uns bedroht. Wir reagieren unwillkürlich mit unseren uralten Angst-Mechanismen und Flucht- oder Kampfreaktionen. Doch damit blockieren wir uns. Wir sind nicht mehr in der Lage, die Situation objektiv zu sehen. Wir glauben, den Ansprüchen nicht zu genügen, werten uns ab und verurteilen uns selbst. Durch Selbstkritik versuchen wir, die Kontrolle wiederzugewinnen. Denn Selbstkritik bewirkt, dass wir uns noch mehr anstrengen, noch härter arbeiten und noch weniger pausieren.

Die große Illusion

Doch letztlich ist dies eine Illusion, da unser Anspruch, fehlerfrei, makellos, perfekt zu sein, unerreichbar bleiben muss. Wir können keine vollständige Kontrolle über uns und unser Leben erlangen. Doch mit jedem neuen „ich muss“, „ich soll“, „ich werde“ versuchen wir dessen ungeachtet, die Illusion von Kontrolle aufrecht zu erhalten.

Eine Alternative

Auch wenn es für viele auf den ersten Blick seltsam anmuten mag, macht es sehr viel Sinn, wertschätzend mit sich zu kommunizieren und freundlich mit sich selbst umzugehen. Wenn wir verständnisvoll mit unseren Schwächen umgehen, praktizieren wir Selbstmitgefühl. Doch diese Haltung ist uns fremd. Wir müssen uns also aktiv und bewusst entscheiden, es künftig mit mehr Freundlichkeit und Zuwendung  uns selbst gegenüber zu versuchen. Wir müssen uns bewusst entscheiden, unseren Hang zu Selbstverurteilung zu dämpfen.

Dies macht auch aus einem anderen Grund Sinn, denn letztlich ist überzogene Selbstkritik egozentrisch. Wenn ich mich ständig mit eigenen Unzulänglichkeiten befasse, kreise ich sehr um mich selbst und habe meine Umgebung nicht mehr im Blick.  Unsere Wahrnehmung verengt sich auf Probleme, wir nehmen uns selbst zu ernst und neigen zum Dramatisieren.

Eine Win-Win-Situation

Im Grunde wissen wir, wie wir freundlich, mitfühlend, ermutigend oder unterstützend sein könnten. Doch vielen fehlt die innere Zustimmung, sich diese Qualitäten auch selbst zuzugestehen, denn uns wurde beigebracht, die eigenen Bedürfnisse zugunsten anderer zurückzustellen. Dabei könnte es genau umgekehrt sein. Je achtsamer wir mit uns selbst umgehen, desto mehr Ressourcen haben wir, für andere da zu sein.

Wenn wir uns selbst in den Kreis des Mitgefühls und der Fürsorge, die wir anderen entgegenbringen, einbeziehen, schafft das zudem ein Gefühl der Verbundenheit. Ich bin ein menschliches Wesen mit Unzulänglichkeiten und Fehlern wie alle anderen.

Selbstmitgefühl als Stimmungsaufheller

Selbstmitgefühl ist dann besonders wertvoll, wenn unser Selbstwertgefühl uns verlässt. Wenn wir uns Sorgen machen oder es uns schlecht geht, können wir uns achtsam uns selbst zuwenden und uns etwas Wertschätzendes und Zuversichtliches sagen. Wir können mit kleinen Gesten unsere Stimmung verbessern. Wir fühlen uns unmittelbar besser. Wir aktivieren dadurch unser Oxytocin-System im Gehirn, das für Wärme und Geborgenheit zuständig ist. Wir können uns so innerhalb von wenigen Augenblicken von einem angespannten in einen besseren Zustand bringen.

Selbstmitgefühl steht uns immer zur Verfügung, bei jedem Wetter, egal ob es stürmt oder schneit. Selbstmitgefühl ist keine Sache des Kopfes, sondern eine Herzensqualität. Voraussetzung ist lediglich, dass wir uns erlauben, auch auf uns selbst zu achten.

Achtsamkeit ist ein wesentlicher Bestandteil des Selbstmitgefühls. Wenn wir die Mechanismen erkennen, die unsere alten Überlebensprogramme starten, können wir die Stopp-Taste betätigen und unser Selbstfürsorgeprogramm starten. Ein anderer Baustein ist Selbstakzeptanz. Ein innerer Zustand von Akzeptanz ermöglicht es uns, klare Entscheidungen für positive Veränderungen zu treffen.

Literatur:

Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden, von Kristin Neff und Gisela Kretzschmar

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